Vielleicht hast du schon mal einen Film gesehen, in dem ein Künstler aus dem 19. Jahrhundert vor einem Glas Absinth sitzt, die Augen weit aufgerissen, und plötzlich die Wände zu tanzen beginnen. Der Mythos sagt: Thujon, der Wirkstoff aus Wermut, macht das möglich. Aber stimmt das wirklich? Wie viel Thujon braucht es, um Halluzinationen zu bekommen? Die Antwort ist einfacher, als du denkst - und viel weniger dramatisch.
Was ist Thujon eigentlich?
Thujon ist ein natürliches ätherisches Öl, das in Pflanzen wie Wermut, Zypresse, Salbei und einigen anderen Kräutern vorkommt. Im Absinth ist es vor allem aus dem Wermut (Artemisia absinthium) enthalten. Früher dachte man, Thujon sei der Hauptverursacher der angeblichen psychotropen Wirkung von Absinth. Man sprach von "Absinthwahn", einer Art psychoaktiver Rausch, der Künstler wie Verlaine, Oscar Wilde oder Van Gogh in den Abgrund gezogen haben soll.
Doch moderne Forschung hat das widerlegt. Thujon wirkt tatsächlich auf das zentrale Nervensystem - aber nur in sehr hohen Dosen. Es ist kein LSD, kein Psilocybin, kein DMT. Es ist ein GABA-A-Rezeptor-Antagonist, was bedeutet: Es hemmt bestimmte beruhigende Signale im Gehirn. Das kann zu Muskelkrämpfen, Krampfanfällen oder Nervenreizungen führen - aber nicht zu bunt getanzten Wänden oder sprechenden Katzen.
Wie viel Thujon ist im Absinth?
Die Menge an Thujon in Absinth ist heute streng reguliert. In der Europäischen Union gilt eine Obergrenze von 35 mg/l für Spirituosen mit Wermut. In den USA liegt die Grenze bei 10 mg/l. Das klingt viel - aber es ist extrem wenig, wenn du bedenkst, wie viel Alkohol du in einem Glas trinkst.
Ein typisches Glas Absinth (30 ml) mit 35 mg/l Thujon enthält also etwa 1,05 mg Thujon. Um eine toxische Wirkung zu erreichen, müsstest du mehr als 100 ml davon in kurzer Zeit trinken - und selbst dann wäre der Alkohol, nicht das Thujon, der Hauptgrund für deine Beschwerden. Eine tödliche Dosis Thujon liegt bei etwa 50-100 mg pro kg Körpergewicht. Das heißt: Für eine 70 kg schwere Person wären das 3.500 bis 7.000 mg Thujon. Du müsstest also mehr als 100 Liter Absinth auf einmal trinken, um nur an der Grenze der Thujon-Vergiftung zu sein. Und das, bevor du überhaupt eine Halluzination spürst.
Warum glaubten Menschen, Absinth verursache Halluzinationen?
Die Halluzinationsgeschichte ist ein klassischer Fall von Fehlinterpretation, Angst und Propaganda. Im späten 19. Jahrhundert war Absinth sehr beliebt - besonders bei Künstlern, Schriftstellern und Arbeitern, die nach einem langen Tag einen starken Drink brauchten. Aber die Qualität war oft schlecht. Viele billige Absinthe wurden mit giftigen Zusätzen angereichert: Kupfersalze für die grüne Farbe, Methanol als Alkohol-Ersatz, oder sogar Gift aus der Schlangenwurzel, um den "Rausch" zu verstärken.
Als dann in der Öffentlichkeit Alkoholmissbrauch und psychische Erkrankungen zunahmen, wurde Absinth zum Sündenbock. Die Weinindustrie, die um ihre Marktanteile fürchtete, finanzierte Kampagnen, die Absinth als "gefährlich" darstellten. Ärzte berichteten von Fällen mit Krampfanfällen, Verwirrtheit und Wahnvorstellungen - aber sie untersuchten nie, ob es wirklich das Thujon war, oder ob es der Alkohol, die Verunreinigungen oder die schlechte Ernährung der Betroffenen waren.
Die Wahrheit: Absinth war kein Halluzinogen. Es war einfach sehr starker Alkohol - oft 60-70 % Vol. Und das ist das, was Menschen zum Tanzen bringt. Nicht Thujon. Nicht Wermut. Nicht magische Kräuter. Nur Ethanol.
Kann man heute noch mit Absinth hallucinieren?
Nein. Nicht mit handelsüblichem Absinth. Selbst wenn du einen handgefertigten, traditionell destillierten Absinth aus der Schweiz trinkst, der den alten Rezepturen nahekommt, liegt der Thujongehalt immer unter der gesetzlichen Grenze. Du kannst 10 Gläser trinken - du wirst betrunken, vielleicht krank, vielleicht übelkeit - aber du wirst nicht sehen, wie die Möbel dich anschauen.
Einige Menschen berichten von "klarerer Wahrnehmung" oder "intensiveren Sinneseindrücken" nach einem Glas Absinth. Das liegt nicht an Thujon, sondern an der Komplexität der Kräuter: Anis, Fenchel, Sternanis, Melisse, Petersilie - sie alle tragen zur Aromatik bei. Die Kombination aus hohem Alkoholgehalt und diesen Aromen kann ein Gefühl von Leichtigkeit, Wachheit oder sogar Euphorie hervorrufen. Das ist keine Halluzination. Das ist ein intensiver Genuss.
Was passiert, wenn du zu viel Thujon zu dir nimmst?
Wenn du Thujon in reiner Form oder in extrem hohen Dosen zu dir nimmst - etwa durch das Trinken von Wermut-Extrakt oder das Essen von großen Mengen Salbeiöl - kann es zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen kommen:
- Übelkeit und Erbrechen
- Bauchkrämpfe und Durchfall
- Muskelzuckungen und Krampfanfälle
- Bewusstseinsstörungen
- In extremen Fällen: Nierenversagen oder Tod
Doch das passiert nicht durch Absinth. Das passiert, wenn du dich mit Kräuterölen oder unkontrollierten Tinkturen experimentierst. Und das ist nicht nur riskant - es ist gefährlich.
Warum gibt es immer noch diese Legende?
Weil sie gut ist. Die Geschichte vom "verbotenen, hallucinogenen Absinth" ist ein perfektes Marketing-Tool. Sie macht das Getränk mysteriös, edel, rebellisch. Filmen, Bücher, Musikvideos - sie alle nutzen das Bild des verzweifelten Künstlers, der von seinem grünen Geist getrieben wird. Und solange Menschen nach dem "echten Rausch" suchen, wird die Legende weiterleben.
Doch die Wissenschaft sagt: Es gibt keinen Rausch durch Thujon. Es gibt nur den Rausch des Alkohols. Und der ist schon stark genug, ohne dass du dich mit Mythen beschäftigen musst.
Was du wirklich brauchst, um Absinth richtig zu genießen
Wenn du Absinth trinken willst - und du solltest, wenn du es magst - dann tu es richtig:
- Wähle einen hochwertigen, zertifizierten Absinth mit klarem Thujongehalt (meist 30-35 mg/l).
- Verwende die traditionelle Absinth-Schale und einen Zuckerpapierwürfel - nicht einfach pur runterschütten.
- Verdünn ihn mit kaltem Wasser: Ein Teil Absinth, drei bis fünf Teile Wasser. Das entfaltet die Aromen und mildert den Alkohol.
- Trinke langsam. Genieße den Duft, die Farbe, die Veränderung des Geschmacks.
- Vermeide Mischgetränke, schnelles Trinken, oder das Trinken auf nüchternen Magen.
Du wirst keinen Trip erleben. Aber du wirst einen der komplexesten, raffiniertesten Spirituosen der Welt schmecken - mit 200 Jahren Geschichte, nicht mit Halluzinationen.
Was ist mit "halluzinogenen" Absinthen auf dem Markt?
Einige kleine Hersteller verkaufen heute "psychoaktive" oder "halluzinogene" Absinthe - oft mit Aussagen wie "Wermut-Extra", "Thujon-Boost" oder "Kraft der Wurzeln". Diese Produkte sind meist entweder:
- Ein Scherz - Marketing mit übertriebenen Behauptungen
- Ein Verstoß gegen die Gesetze - sie enthalten illegal hohe Thujonmengen
- Ein Täuschungsversuch - sie enthalten gar kein echtes Thujon, sondern synthetische Aromen
Vermeide solche Produkte. Sie sind nicht nur unwirksam - sie sind potenziell schädlich. Ein echter Absinth braucht keine Halluzinationen, um beeindruckend zu sein.
Die Wahrheit über Absinth - kurz zusammengefasst
Thujon ist kein Halluzinogen. Es ist ein natürliches Gift - aber in der Menge, die im Absinth enthalten ist, völlig harmlos. Die Halluzinationen, die man in Filmen sieht, sind reine Fantasie. Der wahre Rausch kommt vom Alkohol - und der ist stark genug, um dich zu betäuben, zu erheben oder zu verletzen. Aber er wird dich nicht sehen lassen, was nicht da ist.
Wenn du Absinth trinkst, trink ihn nicht wegen der Legende. Trink ihn, weil er geschmacklich einzigartig ist. Weil er Geschichte schmeckt. Weil er nach Wermut, Anis und dem Geist der Belle Époque riecht. Und weil er - wenn du ihn richtig zubereitest - ein echtes Kunstwerk ist. Nicht ein Trip. Ein Genuss.
Kann man durch Absinth hallucinieren?
Nein. Absinth enthält zu wenig Thujon, um Halluzinationen auszulösen. Die Menge liegt unter 35 mg/l - weit unter der Dosis, die neurotoxisch wirkt. Alle Berichte über Halluzinationen stammen aus der Zeit, als Absinth mit Giftstoffen verunreinigt war. Heutiger Absinth wirkt nur durch seinen hohen Alkoholgehalt.
Ist Thujon giftig?
Ja, in hohen Dosen. Eine toxische Dosis liegt bei 50-100 mg pro kg Körpergewicht. Das entspricht mehr als 100 Liter Absinth für eine durchschnittliche Person. Thujon in reiner Form oder in Kräuterölen kann jedoch schon in wenigen Millilitern gefährlich sein. Nie pur trinken!
Warum wurde Absinth verboten?
Absinth wurde nicht wegen Thujon verboten, sondern wegen Alkoholmissbrauchs, schlechter Qualität und Propaganda. Die Weinindustrie und religiöse Gruppen machten ihn zum Sündenbock. Die Verbotsgesetze in der Schweiz, Frankreich und den USA basierten auf Angst, nicht auf Wissenschaft. Heute ist er in den meisten Ländern legal - mit strengen Thujon-Grenzen.
Welcher Absinth hat den höchsten Thujongehalt?
Die meisten modernen Absinthe enthalten 30-35 mg/l Thujon - das ist die gesetzliche Obergrenze in der EU. Einige Schweizer Handwerksprodukte wie "La Clandestine" oder "Pernod Absinthe" liegen in diesem Bereich. Höhere Werte sind illegal. Kein legaler Absinth hat mehr als 35 mg/l.
Kann man Thujon aus Wermut selbst herstellen?
Technisch ja - aber es ist extrem riskant. Die Destillation von ätherischen Ölen erfordert Fachwissen und sichere Ausrüstung. Selbst kleine Mengen konzentriertes Thujon können Krampfanfälle oder Vergiftungen verursachen. Es ist nicht nur unklug - es ist gefährlich. Keine DIY-Versuche mit Wermutöl.
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